Wie die Goldstein-Siedlung entstand

Die Geschichte des heutigen Frankfurter Stadtteils Goldstein geht zurück in das Jahr 1931. Durch die Weltwirtschaftskrise waren die Arbeitslosenzahlen drastisch gestiegen. Die Lebenshaltung der Bevölkerung sank immer tiefer. Die öffentlichen Finanzen und die städtische Fürsorge waren bis zum äußersten in Anspruch genommen. Damals entstand der Gedanke, Arbeitslose in kleinen Siedlungen am Rand der Großstädte unterzubringen und diese von den Arbeitslosen selbst errichten zu lassen. Durch die Bewirtschaftung der Siedlerstellen mit großen Nutzgärten und Kleintierhaltung sollte sich die Ernährung der Menschen verbessern und die städtische Fürsorge entlastet werden. Im Frühjahr 1932 wurde mit dem Bau der Goldstein-Siedlung begonnen. Die 1936 fertiggestellte Siedlung umfasste ca. 1.000 Siedlerstellen mit rund 6.000 Einwohnern, meist kinderreichen Familien. Goldstein wurde 1946 selbständiger Stadtbezirk.

Letzes Projekt für Ernst May in Frankfurt

Ernst May war ein deutscher Architekt und Stadtplaner. 1925 wurde er vom Frankfurter Oberbürgermeister Ludwig Landmann zum Stadtbaurat ernannt. Im Rahmen des Stadtplanungsprogramms „Neues Frankfurt“ setzte er mit seinem Team aus Architekten, Technikern, Künstlern und Designern ästhetische Maßstäbe und reformierte den städtischen Wohnungsbau. Unter Mays Leitung entstanden unter anderem die Siedlungen Römerstadt, Praunheim und Bornheimer Hang sowie die Siedlung Bruchfeldstraße in Niederrad – wegen ihrer zackenartigen Frontlinie von den Frankfurtern gerne „Zickzackhausen“ genannt.

Das Projekt „Gartenstadt Goldstein“ war das letzte Vorhaben von Ernst May in Frankfurt. Die Pläne dazu stellte er 1929 der Öffentlichkeit vor. Leider konnten diese aus finanziellen Gründen nicht umgesetzt werden und 1930 verließ Ernst May Frankfurt. Wie kam es doch noch zum Bau der Siedlung in Goldstein? Dazu schreibt die Ernst-May-Gesellschaft: „Für die Stadt Frankfurt wurde die steigende Zahl an Dauerarbeitslosen immer mehr zum finanziellen Problem. Daher beteiligte sie sich im Herbst 1931 an einem vom Reichsfinanzministeriums aufgelegten Notprogramm und stellte das Gelände um das Hofgut Goldstein in Erbpacht zur Verfügung. Abweichend von Mays Projekt einer Gartenstadt mit neuzeitlicher Infrastruktur wurde jetzt eine landwirtschaftlich geprägte Siedlung für kinderreiche Erwerbslose geplant. Das neue Projekt sah vor, dass die Siedler ihre Häuser unter Anleitung selbst errichteten und durch Bewirtschaftung von Gartenland und der Haltung von Nutztieren sich eine Existenzgrundlage verschaffen konnten um die Fürsorgekassen zu entlasten. So entstand ab Frühjahr 1932 innerhalb von vier Jahren die Siedlung Goldstein mit insgesamt 930 Kleinsiedlerstellen ohne den unter Ernst May üblichen Ausstattungsstandard“.

Eine ausführliche Beschreibung mit Bildern und Skizzen der ursprünglich geplanten Gartenstadt veröffentlicht die Ernst-May-Gesellschaft hier.

1932: Wohnraum für Familien entsteht

1929 begann mit dem New Yorker Börsencrash eine Weltwirtschaftskrise. Auch in Deutschland steig die Zahl der Arbeitslosen ständig, Ende 1931 waren es bereits über 6 Millionen. Die Menschen hungerten und so entstand der Gedanke, Arbeitslose am Rand der Großstädte als „Selbstversorger“ anzusiedeln. Um sie von der Straße wegzuholen, sollten sie unter der Anleitung versierter Baufirmen „ihre“ Häuser selbst errichten und dabei weiter Arbeitslosenunterstützung erhalten. Wer eine Siedlerstelle übernahm, verpflichtete sich, das große Grundstück mit Nutzgarten und Kleintierhaltung entsprechend zu bewirtschaften. Ende 1931 waren alle Erwerbslosen vom Städtischen Fürsorgeamt aufgefordert worden, sich zur Teilnahme am Siedlungsbau zu bewerben. Für den 1. Bauabschnitt wurden Bewerber bevorzugt, die seit längerer Zeit arbeitslos waren, eine kinderreiche Familie hatten und durch landwirtschaftliche und gärtnerische Kenntnisse oder Erfahrungen im Bauhandwerk besonders für eine Siedlerstelle geeignet waren. 380 Siedlungshäuser wurden im 1. Bauabschnitt bis Oktober 1932 in Gemeinschaftsarbeit erstellt und im Losverfahren „ihrem“ Siedler zugesprochen.

Heute kaum vorstellbar – die Häuser waren für kinderreiche Familien gedacht, hatten aber nur eine Wohnfläche von 46 qm! Die Wohnküche war mit 14 qm der größte Raum, dann gab es ein Eltern-Schlafzimmer von 12 qm und für die Kinder zwei kleine Schlafräume von zusammen 20 qm. Daher wurde oft ein Raum über dem Viehstall mit schräger Decke als zusätzlicher Schlafplatz genutzt.

Aus Kostengründen konnte die Siedlung zunächst nicht an das städtische Kanalsystem angeschlossen werden. Wasser zum Kochen, Waschen und Putzen musste von einer Pumpe im Garten geholt werden. Es gab nur ein Plumpsklo außerhalb des Hauses. Rechts und links der Straßen verliefen keine Gehwege sondern Gräben für die Ableitung des Regenwassers.

Bis 1946 gab es noch keine Grundschule in Goldstein und so mussten die Kinder bei Wind und Wetter auf ungeschützten, schattenlosen Wegen und Straßen in die benachbarten Stadtteile laufen. Und dies wegen Vor- und Nachmittagsunterricht zweimal am Tag. Die Goldsteiner Kinder, so sagt man, erkannte man in den Schulen immer an den schmutzigen Schuhen.

 

Goldsteiner Siedler-Kinder mit Ziege. Bild aus dem Boseweg Nr. 6., Familie Porsche, ca. 1934. Quelle: Peter Keller

 

Goldstein-Siedlung, ca. 1936, Blick in Richtung Niederrad. In der Mitte rechts Hofgut mit Goldsteinpark. Quelle: Institut für Stadtgeschichte

Goldstein-Siedlung, ca. 1955. Im Vordergrund das Hofgut, im Hintergrund die Staustufe Griesheim und das Barackenlager am Main (ehemalige Flak-Stellung). Quelle: Peter Keller

Wie der Schimpfname „Scheißkübelshausen“ entstand

Die fast tausend Siedlerstellen in Goldstein hatten 1937 zwar ein massiv gebautes Haus und eine Versorgung mit Strom, aber keinen Gas-, Wasser- oder Kanalanschluss. Das bedeutete, dass es in den Häusern weder fließendes Wasser noch sanitäre Anlagen gab. Die Toilette, ein Torfstreuklosett, war außerhalb des Wohnhauses im Garten untergebracht.

Diese Plumpsklos mussten regelmäßig ausgeräumt werden: Dazu leerte man die in einem Kübel aufgefangenen „Hinterlassenschaften“ in die Dunggrube, die „Puddelkaut“. Die Bewohner der umliegenden Stadtteile nannten Goldstein daher gern „Scheißkübelshausen“. Erst ab 1958 ließ die Stadt Frankfurt Kanäle verlegen.

Eine weitere Herausforderung: Das Wasser zum Kochen, Waschen und Putzen musste mit Eimern von einer Pumpstelle im Garten ins Haus geholt werden. Diese war an der Grundstücksgrenze zum Nachbarn installiert. Zwei Siedlerstellen teilten sich jeweils eine Pumpe. So ist der Begriff „Bumbenachber“ im Unterschied zum „Hausnachber“ entstanden.

Wenn man früher erzählte, dass man aus Goldstein sei, wurde man von den Bewohnern der umgliegenden Stadtteile oft „schief angesehen“. Goldstein hatte als Erwerbslosen-Siedlung einen schweren Stand und die primitiven Wohnverhältnisse trugen dazu bei, dass man von den Bewohnern der umgliegenden Stadtteile oft „schief angesehen“ wurde.

Die unbefestigten Straßen in der Siedlung wurden rechts und links von Gräben gesäumt, die das Regenwasser aufnehmen sollen. Stege führten zu den Grundstücken. Aufnahme ca. 1933, Peter Keller.

Goldstein in der NS-Zeit

Die Goldsteinsiedlung wurde in drei Bauabschnitten zwischen 1932 und 1936 erstellt. Für die ersten beiden Bauabschnitte wählte noch ein Ausschuss die Bewerber für die Siedlerstellen aus, der aus Mitgliedern des Fürsorgeamts und anderer Ämter bestand. Hier waren Kriterien wie Dauer der Arbeitslosigkeit, Anzahl der Kinder und die berufliche Eignung zum Bewirtschaften der Siedlerstelle ausschlaggebend. Für den dritten Bauabschnitt der Siedlung (1933-1935) wurden die Bewerber dem Kreispersonalamt der NSDAP gemeldet, das von der zuständigen Ortgruppe Gutachten über die politische Zuverlässigkeit anforderte.

In der Festschrift zur 20-Jahr-Feier der Goldsteinsiedlung 1952 stellt der Bezirksvorsteher Funk die Situation in der NS-Zeit rückblickend dar: „Anordnung: Nur wer sich rückhaltlos zum NS-Staat bekennt darf Deutschen Boden bewirtschaften. Förmliche Menschenjagd fremder bewaffneter SA auf politisch Verdächtigte. Haussuchungen bei allen Siedlern des GEWOBAG-Bauabschnittes. Viele Siedler wurden aus fadenscheinigsten Gründen von Haus und Hof verjagt. SA- und SS-Leute werden in diese Siedlerstellen gesetzt. Die Bewerber für den Ausbau des 3. Bauabschnittes werden durch die NSDAP ausgewählt. Die Reichsdarlehen, die für den 1./2. Bauabschnitt je Siedlerstelle 2.500 RM betrugen, werden für die Siedler des 3. Bauabschnittes trotz ständig steigender Materialpreise auf 2.250,- RM gekürzt. Durch die Auswahl der neuen Siedler nach politischen Gesichtspunkten zeigt sich ein erheblicher Mangel an Facharbeitern. Um angeworbene Facharbeiter bezahlen zu können, muss jeder Siedler des 3. Abschnittes zusätzlich 500,- RM Darlehen aufnehmen. Die Siedlungshäuser des 3. Abschnittes werden räumlich wesentlich kleiner gebaut als die des 1./2. Abschnittes. Dass ob dieser Segnungen die Siedler nicht hell begeistern waren, versteht sich. Aus rund 1000 Siedlerstellen mit annähernd 4000 Einwohnern traten nur 200 Mitglieder der NSDAP bei. Dafür wurden die Siedler in ihrer Gesamtheit von dem Ortsgruppenleiter der NSDAP in einer öffentlichen Versammlung als Zigeuner übelster Sorte beschimpft. Einen zweifellos verdienten Heiterkeitserfolg errang der unselige verflossene Reichsstatthalter und Gauleiter Sprenger bei der Einweihung des Goldsteinparks im Jahre 1937, als dieser ausrief „Diese schöne Siedlung hat Adolf Hitler gebaut“.

 

Blick auf den Sonnenweg. Ab 1933 sollen die NS-Flaggen in Goldstein allgegenwärtig gewesen sein. Quelle Bild: Peter Keller

Weiße Fahnen in der Siedlung – die Befreier kamen aus dem Stadtwald

Im 2. Weltkrieg wurde die Siedlung durch den Luftkrieg hart getroffen. Viele Häuser wurden total zerstört oder beschädigt. Wie erlebten die Goldsteiner das Ende des Krieges im Frühjahr 1945?

Im Archiv des Goldsteiner Heimatforschers Ernst Leißner, das im Heimatmuseum Schwanheim lagert, findet sich die Mappe „Rund um Goldstein“. Unter der Überschrift „Frankfurt Stunde Null“ schildert er die Ereignisse der letzten Kriegstage: „In der Nacht zum 23. März 1945 haben die Amerikaner den Angriff auf das Rhein-Main-Dreieck, begrenzt von den Städten Darmstadt, Hanau und Frankfurt eingeleitet. Die Frankfurter Stadtverwaltung sollte nach Schlitz in Oberhessen verlegt werden. Angesichts der sich nähernden amerikanischen Truppen erging der Befehl, niemand dürfe die Stadt verlassen. Einen Tag später, am 24. März 1945, ordnete Gauleiter Sprenger die sofortige Räumung von Frankfurt an.

Am 25. März 1945 wurden die Staustufe Griesheim, die Schwanheimer Brücke und die Autobahnbrücke von deutschen Wehrmachtssoldaten gesprengt. Während des Fliegeralarms von 7 bis 19 Uhr werden auf Anordnung des Generalfeldmarschalls von Kesseling zunächst der Eiserne Steg, die Obermainbrücke und die Eisenbahnbrücken gesprengt. Schwanheim ist ohne Gas und Elektrizität. Zwischen 14 und 15 Uhr zerstören deutsche Truppen die Sendeanlagen an den Schwanheimer Wiesen. Tiefflieger kreisen über der Stadt. Am Abend beginnen deutsche Truppen die Zerstörungen auf dem Rhein-Main-Flughafen.

Am 26. März 1945 drängen die Amerikaner aus dem Gebiet zwischen Darmstadt und Frankfurt zum linken Ufer des Untermains vor. Sie nehmen Offenbach ein, in den südlichen Stadtteilen Frankfurts entwickeln sich Kämpfe. Morgens um 11 Uhr rollten die ersten Panzer aus Richtung Neu-Isenburg kommend aus dem Wald heraus auf Goldstein und Schwanheim zu. 100 Meter entfernt von der katholischen Notkirche in Goldstein wurden auf dem Feld Geschütze aufgestellt zum Beschuss auf Griesheim. Drei Tage dauerte dieser Kampf, dann hatte Goldstein endlich Ruhe. Am 29. März 1945 gegen 16 Uhr verkündet der amerikanische Sender die Einnahme Frankfurts.“